Er ist seit einigen Monaten in Kraft und läuft bis 2029: Der neue GAV (Gesamtarbeitsvertrag) für die Branchen Uhrmacherei und Mikrotechnik betrifft 500 Unternehmen und rund 55’000 Beschäftigte, d. h. 85 % der Arbeitnehmer in der Uhrenindustrie. Können Sie uns die wesentlichen Neuheiten des GAV erläutern und was sich daraus ableiten lässt?
Ja, nach einem Jahr der Diskussionen ist die neue Fassung unseres Vertragswerks diesen Sommer in Kraft getreten. Unter den Verbesserungen für die Mitarbeiter kann man hervorheben:
- Eine verlängerte Elternzeit, nämlich 3 Wochen Vaterschaftsurlaub und 19 Wochen Mutterschaftsurlaub
- Eine Erhöhung des Arbeitgeberanteils an den Krankenkassenprämien; dieser beträgt nun 195 CHF
Wesentliche Fortschritte wurden auch zugunsten der Arbeitgeber erzielt, insbesondere die Verkürzung der Schutzfristen im Krankheitsfall nach einer Kündigung, was mehr Flexibilität bei der Personalverwaltung ermöglicht.
Betrachten Sie dies als einen ausgewogenen Kompromiss zwischen sozialem Fortschritt und Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen?
Verhandlungen bringen stets ihr Mass an Frustrationen mit sich, sowohl für die eine wie auch die andere Seite. Wir haben das Glück, in einem Land zu leben, wo der Konsens geschätzt wird und der Dialog zwischen den Sozialpartnern möglich bleibt.
Auch wenn die Diskussionen manchmal hitzig sind, führen sie oft zu Verbesserungen. Indes ist es wichtig zu erkennen, dass wir bei den grossen sozialen Fortschritten, wie z. B. der Arbeitszeitverkürzung, eine gewisse Grenze erreicht haben.
Zudem wird es immer wichtiger, die Flexibilität der Unternehmen zu bewahren, die bereits mit zahlreichen gesetzlichen Verpflichtungen sowie dem sich daraus ergebenden besonders hohen Verwaltungsaufwand konfrontiert sind.
Gibt es Themen, die mit den Gewerkschaften noch nicht geklärt wurden und weiterhin zur Debatte stehen?
Natürlich gibt es Themen, die weiterhin diskutiert werden, das ist im Rahmen des sozialen Dialogs vollkommen normal. Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern sind ein fortlaufender Prozess, der sich mit der Zeit und den Herausforderungen der Branche weiterentwickelt.
Allerdings pflegen wir aus Respekt vor der Vertraulichkeit der Gespräche und zur Wahrung eines vertrauensvollen Klimas mit unseren Partnern über diese Punkte nicht öffentlich zu kommunizieren, solange sie nicht abschliessend geklärt wurden. Unser Ziel bleibt es, ausgewogene Lösungen im Interesse der Mitarbeiter und der Arbeitgeber zu finden.
Trotz einer ungewissen Konjunktur bestätigen Sie uns, dass die Arbeitgeber ihren Mitarbeitern den vollen Teuerungsausgleich gewähren werden. Was bedeutet das konkret für die Beschäftigten der Branche?
Die Diskussionen über die Teuerungszulage per 1. Januar 2025 fanden diesen Herbst zwischen der Gewerkschaft UNIA und den Vertretern der Uhren- und Mikrotechnikunternehmen statt. In der Tat drehten sie sich hauptsächlich um die wirtschaftlichen Aussichten für das kommende Jahr und die mangelnde Klarheit bezüglich seiner Entwicklung.
Trotz der Besorgnis über die aktuellen und zukünftigen wirtschaftlichen Herausforderungen haben die Unternehmen beschlossen, die volle Teuerungszulage (Fr. 65.-) ab dem 1. Januar 2025 zu gewähren, und unterstreichen damit ihr Engagement, ihre Mitarbeiter angesichts der Inflation und der steigenden Lebenshaltungskosten zu unterstützen.
Üben die Berufe der Uhrmacherei und Mikrotechnik Ihrer Kenntnis nach immer noch eine so hohe Anziehungskraft auf die jungen Schweizer aus?
Ja, diese Berufe ziehen weiterhin junge Menschen an. Ihre Förderung bleibt jedoch eine zentrale Herausforderung für die Branche. Wie in anderen Sektoren auch müssen wir unsere Anstrengungen zur Aufwertung dieser Berufe verdoppeln, denn die Jugendlichen richten ihr Interesse zunehmend auf Gebiete wie Handel, Gesundheit, Soziales oder auch die Informatik, und dies zum Nachteil der eher handwerklich geprägten Berufe.
Ist der neue eidgenössische Fachausweis für Bereichsleiter in der Uhrenbranche ein Erfolg? An wen richtet er sich zuvorderst?
Es ist noch etwas früh, von einem Erfolg zu sprechen, denn dieser neue Lehrgang hat erst diesen Sommer in zwei Schulen der Romandie begonnen: dem CEFF in St-Imier und dem Ifage in Genf. Ein deutschsprachiger Kurs soll 2025 in Grenchen starten.
Dieser eidgenössische Fachausweis wurde auf Wunsch der Unternehmen entwickelt, mit einem Inhalt, der speziell auf die Besonderheiten der Branche zugeschnitten ist. Er richtet sich in erster Linie an erfahrene Mitarbeiter, die Aufgaben in der Werkstattleitung oder der brancheninternen Koordination anstreben.
Gibt es noch offene Stellen für bestimmte Berufe in der Uhrmacherei, wo es um äusserst seltene und begehrte Profile geht?
In der jetzigen Konjunkturlage gelten die Sorgen der Unternehmen vor allem anderen Prioritäten. Dennoch ist klar, dass hochspezialisierte Profile immer noch grosses Interesse bei den Arbeitgebern wecken.
Was sind die kommenden Herausforderungen für den Arbeitgeberverband?
In Anbetracht der Aufgaben, die unser Dachverband wahrnimmt, gibt es zahlreiche Herausforderungen.
Zunächst geht es darum, die Interessen der Branche weiterhin zu vertreten, indem wir bestmögliche Rahmenbedingungen gewährleisten und dabei den sozialen Frieden und einen konstruktiven Dialog mit unseren Sozialpartnern wahren.
Sodann ist es von entscheidender Bedeutung, unsere Unternehmen mit modernen und angepassten Instrumenten zu unterstützen, um sie bei der Bewältigung zahlreicher Probleme, insbesondere im Bereich der körperlichen und psychischen Gesundheit der Mitarbeiter, zu begleiten.
Eine weitere wichtige Aufgabe liegt darin, die Schulungen weiter auszubauen und sie an die sich entwickelnden Bedürfnisse der Branche anzupassen, um die Exzellenz und Wettbewerbsfähigkeit unseres Sektors zu gewährleisten.
Zu guter Letzt müssen wir die Attraktivität unserer Berufe für junge Menschen steigern, indem wir deren Image moderner gestalten und die Chancen, die sie bieten, zur Geltung bringen.
Interview von Stephan Post, Dynamics Group